„Seit den 50er Jahren existiert die Placebo-Forschung. In den letzten Jahren gibt es jedes Jahr hunderte von Studien darüber. Placebo-Forschung ist die Forschung, die erforscht: Wie wirkt Bewusstsein im Heilungsprozess? Bewusstsein bedeutet: Meine innere Einstellung zu meiner Gesundheit und zu meiner Krankheit. Wir wissen, dass wenn ich negativ über den Verlauf einer Krankheit denke, dass sich das wie selbst prophezeiend auswirkt auf das gesamte System. Und umgekehrt genauso.“
Klaus-Dieter Platsch
Der Arzt für Innere Medizin, Chinesische Medizin, Psychotherapie und Naturheilverfahren leitet das Institut für Integrale Medizin. Er entwickelte die Ausbildung „Heilende Medizin – ein integraler Entwicklungsweg für Menschen im Heilberuf“ sowie das Medizinbegleitstudium „Caring & Healing – Entwicklung ärztlicher Kernkompetenz“. Zudem ist er als Autor tätig.
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Für meine Interviewreihe „Mach’s weg“ habe ich Interviews aus verschiedensten Perspektiven über die Corona-Krise, den Graben zwischen “Alternativ-” und Schulmedizin, und über eines der wichtigsten Themen im Leben geführt: Gesundheit. Aber was ist das überhaupt? Lassen sich Krankheiten und ihre Symptome einfach „weg machen“? Wieso kümmern sich Menschen umeinander? Und wie sähe ein Gesundheitssystem aus, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt?
23 gesammelte Mach’s weg“-Interviews sind hier als Buch zu bestellen.
Laurens Dillmann: Können Sie die Perspektive des Arztes beschreiben, wenn die Heilung gelingt?
Freude! Gleichzeitig ist es wichtig zu unterscheiden: Welche Faktoren lagen in meiner Verantwortung, und was geschah aus der Selbstheilung des Patienten heraus? Denn ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass wir Ärzte eher Vermittler oder Begleiter der Heilungsprozesse sind. Jedoch nicht ihre Macher.
Heilung ist in jedem Menschen angelegt. Jeden Moment fallen Probleme im Organismus an, zigtausende von Krebszellen, die der gesunde Organismus eliminieren kann. Das kann er aus sich selbst heraus, dazu braucht er keinen Arzt. Wenn sie sich ein Bein brechen, heilt es auch ohne ärztliche Handlung. Ärztliche Kunst ist, diesen Prozess zu unterstützen, so gut es geht.
Was halten Sie vom Begriff „Der innere Arzt“? Welche Rolle spielt der Arzt, wenn ich die Möglichkeit zur Heilung eigentlich schon in mir trage?
Die größte Kompetenz für den Heilungsprozess liegt im Patienten selbst. Aufgabe des Arztes ist es, diese Kompetenz zu stärken, anstatt Heilung nur als eine externe Dienstleistung zu betrachten. Diese Fragestellung sollte nicht an den Arzt im Sinne von „Mach`s weg“ abgegeben werden. Ich als Arzt kann sagen: Du wirst es gut machen. Und ich begleite dich darin.
Es gibt zwei Arten von medizinischer Kompetenz: die ärztlich-professionelle, die auf einem großen medizinischen Hintergrund basiert, und die innere Kompetenz des Patienten. Beide sind gleichwertig und können sich ergänzen.
Ein Patient braucht medizinische Informationen, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Aber die Entscheidung liegt beim Patienten. Dazu kommt, dass sich ärztliche Kompetenzen natürlich unterscheiden. Es gibt Ärzte, die sich auf der rein organischen Ebene bestens auskennen und exzellent sind. Und es gibt Ärzte, die vom Stellenwert der Intuition und der Energetik wissen, vom Stellenwert des Bewusstseins und welchen Einfluss es auf die Heilungsprozesse nimmt. Da machen wir schon ein viel größeres Thema auf. In der Medizin ist es fast immer so, dass viele weitergehende Erkenntnisse diskutiert werden. Aber die Medizin ist immer nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft und folgt deren Prämissen und Überzeugungen. Ich spreche hier insbesondere vom Thema des Bewusstseins.
Was bedeutet Bewusstsein in Bezug auf die Medizin?
Seit den 50er Jahren existiert die Placebo-Forschung. Jährlich erscheinen hunderte von Studien darüber. Sie untersucht, wie Bewusstsein den Heilungsprozess beeinflusst. Bewusstsein bedeutet: Meine innere Einstellung zu Gesundheit und Krankheit. Wir wissen, dass eine negative Erwartungshaltung den Krankheitsverlauf verschlechtern kann, während eine positive Einstellung Heilungsprozesse fördert. Die Psychoneuroimmunologie zeigt, wie stark Psyche, Gedanken und Emotionen körperliche Prozesse beeinflussen. Dennoch hat dieses Wissen noch kaum Eingang in die schulmedizinische Praxis gefunden. Je weiter man sich in diesen Dimensionen auskennt, desto mehr Möglichkeiten hat man in der Begleitung eines Menschen.
Sie schreiben von einem sich anbahnenden Paradigmenwechsel in der Medizin. Wie hat sich Ihr Verständnis von Medizin im Laufe Ihrer Berufslaufbahn verändert?
Mein Verständnis von Medizin ist eng mit Spiritualität verknüpft. Schon als Kind interessierte ich mich für religiöse und spirituelle Praktiken. Doch mit dem Medizinstudium trat die rationale Wissenschaft in den Vordergrund, und mein spiritueller Bezug verlor an Bedeutung.
Mit dem Studium kam dann auch meine politische Aktivität. Ich war aktiv in der alternativen Liste in Berlin und Gründungsmitglied der Grünen. Das war der Versuch einer Antwort auf die drängenden Fragen unserer Weltsituation. Andererseits war ich glühender und hochmotivierter Arzt der konventionellen Medizin. Ich war bestens ausgebildet. Ich hatte mich niedergelassen, ich merkte jedoch rasch, dass ich meinen Patienten mehr Zeit widmen wollte.
Ich wollte nicht 100 Patientinnen und Patienten am Tag sehen. Und habe mir diese Zeit also einfach genommen. Mein Praxispartner war nicht gerade begeistert, für ihn ging das gar nicht. Das war die erste Scheidung meines Lebens (lacht). Parallel dazu eine Scheidung von meiner ersten Frau. Also eine ziemliche Umbruchsituation.
Währenddessen habe ich meine erste Akupunkturlehrerin und damit ein ganz anderes Weltbild kennengelernt. In der chinesischen Medizin habe ich mich dann sehr verankert. Ich habe mehrere Lehrbücher darüber geschrieben und war auch Dozent in diesem Bereich. Zeitgleich zur Akupunkturausbildung habe ich eine Psychoanalyse angefangen und eine Lehranalyse gemacht und dabei viel über das Gespräch als solches gelernt. Sie können sich denken, dass sich mir allmählich ganz neue Perspektiven für mich selbst, für die Medizin und die Fragestellung des Heilens eröffneten.
Später bemerkte ich, dass die Methoden gar nicht so wichtig sind. Ich habe ja viel akupunktiert und irgendwann realisiert: Ob ich jetzt die Nadel wirklich setze, oder den Punkt einfach berühre, spielt keine große Rolle. Die Methoden sind zwar eine schöne Eingangspforte und wichtig, allerdings habe ich schnell gemerkt, dass jenseits der Methode noch etwas anderes ist, das heilt. Und das war vor allem die Begegnung zwischen dem Menschen, der krank ist, und mir. Eine Herzensbegegnung mit großer Offenheit. Und das hat zu tun mit einer immer stärker werdenden Wahrnehmungsfähigkeit zum anderen hin. Es war mir immer mehr möglich, wahrzunehmen oder zu spüren, was im anderen vorgeht, was seine Themen sind, und damit angemessen umzugehen. Diese Art von Offenheit und Verwurzelung im Herzen, die Wahrnehmung, dass da noch mehr möglich ist als das Handwerk, das hat meine Arbeit einfach sehr verändert.
Und so bin ich dann dazu übergegangen, heilende Qualitäten als solche zu vermitteln. So habe ich unter anderem eine zweijährige Ausbildung „Heilende Medizin für Ärzte und Menschen in Heilberufen“ entwickelt. Die ging von 2006 bis jetzt. Und daraus ist „Caring and Healing“ als Begleitstudium für Medizinstudierende entstanden. 2016 haben wir das erste Studienjahr gemacht. Mein Antrieb war: Wenn wir wollen, dass sich die Medizin aus der Tradition des rein Molekular-Atomistischen verändert, dann können die Adressaten nur die Jungen sein, die Medizinstudierenden sollen etwas davon schon in ihrer Ausbildung schmecken können.
An welchem Punkt beginnt ein Mensch zu realisieren, dass er sich verändern muss? Beginnt damit die Heilung?
So viele Wege, so viele Menschen. Auf der einen Seite sind die tieferen Gesetzmäßigkeiten des Heilens einfach. Und gleichzeitig ist der Prozess, sich dem ganz zur Verfügung stellen zu können, nicht unbedingt einfach. Es bedeutet auch Arbeit. Arbeit an sich selbst. Für mich spielt die Meditation eine große Rolle. Warum Meditation? Ich sage es sehr häufig zu den Ärzten und Studierenden: Wir versuchen, die Fähigkeit zu entwickeln, mit unserem Ich zurückzutreten. Ich mache meinen innersten Raum leer. Warum? Was ist denn mein Ich? Unsere ganzen Vorstellungen, unsere Prägungen und Konditionierungen. Sie wirken und weben in mir eine Art inneres Programm.
Alles, dem ich draußen in der Welt begegne, einem Menschen, der Natur, einer Sache, alles wird in mir wahrgenommen und durch mein inneres Programm verarbeitet. So bekomme ich mein entsprechendes Bild, meine Einschätzung der Situation. Alles, was ich gelernt, erfahren und erlitten habe, beeinflusst letztendlich das, was ich sehe. Und damit auch mein Denken und damit mein Handeln.
Angenommen, sie haben eine Prägung, die eher pessimistisch ist. Wenn sie mit dieser pessimistischen Prägung versuchen, einen Menschen heilen zu wollen, haben sie von Hause aus schlechte Karten. Weil das, was ich als Haltung habe, sich unmittelbar auf mein Gegenüber überträgt. Und das ist das Geheimnisvolle. Wir kennen das aus der Quantenphysik und aus den Feldtheorien. Jenseits der materiellen Ausformung des Menschen existiert ein Energie- und Informationsfeld. Sprich, das, was auch in mir als Haltung oder als meine innere Atmosphäre oder Befindlichkeit unausgesprochen da ist, ist transpersonal im Energiefeld. Ihr Feld überlappt das Feld des Anderen, und andersherum.
Auf einer Ebene, die nicht mal erkannt werden muss, die aber trotzdem immer existiert, spüren wir einander. Und das hat einen großen Einfluss. Wenn sich jemand wirklich auf den Weg macht, einen anderen auf einer tiefen Ebene begleiten zu wollen, ist es wichtig, dass wir uns über uns selbst immer mehr im Klaren werden. Dass also ein Erkenntnisprozess unserer Selbst stattfinden kann. Damit ich den Raum frei machen und meine innere Programmierung, meine innere Befindlichkeit immer mehr zurückstellen kann. Erst dann kann ich ohne mein eigenes Programm das Gegenüber wirklich wahrnehmen. Wirklich wahrnehmen.
Zum Beispiel: Wie fühlt sich der andere? Wie denkt der andere? Was für innere Überzeugungen hat dieser Mensch? Wo sind Blockaden und Stolpersteine, die er sich selbst oder andere ihm in den Weg legen? Das sind Dinge, die wir dann spürend erfahren können. In dieser Art von Aufeinandertreffen ist ein vorheriger Prozess der Selbsterkenntnis einfach zentral.
Nun können Sie sich vorstellen: Alles, was durch bestimmte Filter und Programme von uns selbst läuft, bekommt eine Fixierung oder eine bestimmte Statik. „Das ist so! Du wirst gesund oder nicht gesund!“ Ein Statement – daher auch das Wort statisch. Und diese Statements beeinflussen – auch unausgesprochen – den Menschen. Unsere eigenen, aber auch die des Arztes. Die Stagnation im Lebensprozess jedoch hat das Potenzial, krank zu machen. Lebensprozesse fließen, sie bewegen sich. Jenseits unserer Materie sind wir Energie. Und das Prinzip von Energie ist, dass sie fließt.
Welche Statements in uns sind das größte Hindernis für die Heilung?
Eines der größten emotionalen Statements ist die Angst. Angst macht uns statisch. Wir erstarren geradezu, oder laufen davon, je nachdem. Dann fließt unsere Lebensenergie nicht mehr. Die Prozesse kommen zum Erliegen. Meine Aufgabe als Arzt ist es, diese Stagnation von Lebensenergie wieder aufzulösen. Den Menschen darin zu begleiten, dass diese Blockaden aufgelöst werden. Das heißt eben nicht, wegmachen und weggehen. Im Gegenteil: Hingehen! Zuwenden!
Ein ganz einfaches Beispiel kennt jeder von uns: Jemand sagt irgendwas und ich verfalle plötzlich in Schockstarre. Irgendeine belanglose Bemerkung und ich bin getriggert. „Du hast einen Fehler gemacht. Das ist wirklich verrückt, was du dir da geleistet hast.“ Und ich knicke völlig ein. Dann ist dahinter wahrscheinlich eine alte Verletzung aus der Kindheit: “Ich habe es noch nie richtig gemacht.” Jedes Mal wenn jemand, der eine solche Wunde trägt, kritisiert wird, knickt er ein und verliert seine Energie. Da geht es nicht nur um die Worte des Anderen, sondern auch um meine alte Verwundung. Die einzige Möglichkeit, das zu lösen, ist, mich dieser alten Verwundung zuzuwenden.
Als Kind hätte mich dieser Satz umgebracht. Wir brauchen schließlich die Unterstützung unserer Eltern. Und um damit umgehen zu können, haben wir diesen Schmerz einfach weggesteckt, neutralisiert, ins Tiefkühlfach verfrachtet. Und da bleibt er auch. Mit dem Preis, dass wir, wann immer wir im Leben an dieser Stelle berührt werden, gar nicht wissen, warum wir so stark reagieren. Die Lösung ist, das Eisfach zu öffnen und sich diese Wunde anzuschauen. Als Erwachsener kann ich das, ich werde daran nicht zugrunde gehen. Aber ich muss diese Trauer, dieses Entsetzen, was mir widerfahren ist, einmal wirklich in mir spüren dürfen. Denn dann erst kann es sich lösen, die Energie kann wieder fließen und das Thema kommt zu einem Ende.
Das ist ein Beispiel auf mental-emotionaler Ebene. Aber es gilt genauso für die physische Ebene, für den Körper. Körperliche Verletzungen können erst dann heilen, wenn wir uns diesen Zuständen zuwenden. Energetisch heißt das einfach, dass ich Energie hinein gebe. Meine Aufmerksamkeit ist Schenkung von Energie. Und dann kann ich es fühlen, etwas kann passieren und in Bewegung kommen. Viel der Heilarbeit besteht also darin, aus der Stagnation von Energie herausführen. Auch das ist Aufgabe eines heilenden Menschen: Schauen, wo ist im anderen etwas unbeachtet? Wo braucht es mehr Zuwendung?
Wenn wir uns das energetisch vorstellen, heißt das, dass unsere Energieachse in Kohärenz schwingt. Energieachse meint den energetischen Hintergrund des Körpers, unserer Emotionen, des Denkens und unserer Seele. Alles sollte in einer Schwingung miteinander schwingen können. Angenommen, wir erleben jemanden, der uns nette Worte sagt, aber sein ganzer Körper spricht eine andere Sprache. Dann sind Körper, Emotionen und Sprache nicht in Kohärenz miteinander. Wenn jemand etwas Nettes sagt und ich das auch in jeder Geste und in der Wahrnehmung des anderen spüren kann, dann ist die Kohärenz gegeben. Diese Kohärenzfähigkeit, dass wir wirklich in Resonanz mit all unseren Ebenen sind, mit unserem ganzen Sein, das ist eine ideale Möglichkeit für Heilungsprozesse. Da ist nichts abgespalten, sondern alles miteinander in Verbindung. Heilung bedeutet, alles miteinander in Verbindung zu bringen.
Sie engagieren sich dafür, dass diese Inhalte auch Einzug ins Curriculum des regulären Medizinstudiums finden. Haben Sie damit Erfolg?
Die konventionelle Medizin hat sich in dieser Hinsicht noch nicht vollständig gewandelt. Doch zentrale Themen wie Mitgefühl, offene Kommunikation und gleichrangige Kompetenz zwischen Arzt und Patient wurden nun im neuen Lernzielkatalog des Medizinstudiums verankert. Damit werden erstmals Aspekte wie Energie, Liebe und die heilsame ärztliche Persönlichkeit verpflichtend gelehrt.
Das ist das erste Mal, dass die Worte „heilsame ärztliche Persönlichkeit“ in der medizinischen Ausbildung vorhanden sind. Das gab es vorher überhaupt nicht. Diese Inhalte müssen nun von den medizinischen Fakultäten verpflichtend gelehrt und geprüft werden. Und zwar zu unterschiedlichen Abschnitten der ärztlichen Ausbildung. Also das ist schon eine schöne Entwicklung. Doch sie ist noch immer sehr am Anfang von dem, wie ich und andere Medizin verstehen. Meditation fehlt zum Beispiel völlig.
Ist der Paradigmenwechsel also angestoßen?
Ja. Meine Arbeit mit Ärztinnen, Ärzten und Medizinstudierenden ist eine Facette einer Bewegung, die an vielen Orten in der Medizin stattfindet. Die Bewegungen sind klein und es sind noch wenige, aber es gibt sie. Und ich denke, die Vernetzung dieser Initiativen ist der Schlüssel. Was wir mit Caring and Healing erstmalig geschafft haben, ist, dass wir über die Hochschulanbindung direkt einen akademischen Hintergrund haben, mit dem wir tatsächlich auch ins Medizinsystem hineingekommen sind. Viele andere Initiativen sind eher privat, von Lehrern oder Ärzten, die ihre Praxen und Kliniken auf diese Weise ausrichten. Mit Caring and Healing haben wir endlich eine Initiative, die tatsächlich im System angekommen ist.
Wie erleben Sie das Jahr 2020? Was macht die Corona-Situation mit unserem Verständnis von Gesundheit?
Viele vorgefertigte Meinungen über Gesundheit stammen aus dem Irrglauben, bereits alles zu wissen. Doch oft wissen wir nicht genug. Vielmehr sollten wir uns darauf konzentrieren, Leid dort zu lindern, wo es möglich ist. Das ist möglich, das sollten wir tun und das liegt auch in unserer Verantwortung. Gesellschaftlich wie auch ärztlich. Damit diese Entwicklung geschieht, gehört es natürlich auch dazu, dass wir den Ängsten der Menschen angemessen begegnen. Ich kann es nachvollziehen, wenn Menschen Angst vor einer Infektion haben, die sich pandemisch seit Monaten äußert. Ich kann es verstehen, wenn Menschen Angst haben, dass ein Risiko besteht, wenn sie ihr Haus verlassen. Ich kann es verstehen, dass manche Menschen Angst haben, überhaupt noch in Kontakt mit anderen zu gehen. Ich kann die verstehen, die Angst vor der vielleicht nicht genug erprobten Impfung haben, oder die sich an den Einschränkungen stören und darunter leiden.
Zu unserer Menschlichkeit gehört auch das. Sich auf die Ängste der anderen einzulassen. Es ist eine Angelegenheit, das mit in mein Mitgefühl zu nehmen. Eine mitmenschliche Form von Solidarität zu haben, das denjenigen hilft, die an solchen Ängsten besonders leiden. Das ist auch ein Sinnbild der Globalisierung. Wir sind vernetzt miteinander, und so teilen wir auch unsere Erkrankungen, und ihre Risiken. Ich denke, da zeigt sich das Wesen einer Gemeinschaft. Einfach nur, weil ich anderer Meinung bin, diese Meinung über die Solidarität und die Menschlichkeit an sich zu stellen, das ist für mich nicht möglich.
Haben Sie eine Idee für eine Diskussions- und Kommunikationskultur, die uns geistig freier macht?
Ich bin der Überzeugung, dass die Allermeisten in unserer Gesellschaft total offen wären für einen guten Austausch über die Fragen von Corona und all das, was es mit sich bringt. Wir müssen wirklich überlegen, wie wir alle Teile der Gesellschaft miteinander in Verbindung bringen. Unversöhnliche Meinungen sind nicht hilfreich. Eine Spaltung ist niemals hilfreich. Medizinisch betrachtet macht Spaltung krank, im Heilungsprozess versuchen wir, die Dinge zusammenzubringen. Spaltung macht uns persönlich krank, und damit auch die Gesellschaft. Wir brauchen eine Möglichkeit, unversöhnliche Meinungen wieder in ein fließendes Miteinander und in einen Austausch zu bringen. Das ist eine große Herausforderung und sicher ein Appell an alle beteiligten Seiten.
Corona-Befürworter oder Corona-Leugner. Warum stecken wir uns gegenseitig so schnell in Schubladen?
Jede starre Festlegung ist untauglich – sie widerspricht dem lebendigen Wandel. Sie sprechen das Thema von Fundamentalismus und Dogmatismus an. Wir haben eine Diskurs- und Diskussionskultur, die zur Debatte neigt. Und Debatte heißt eigentlich, man zieht das Schwert. Wir haben keine dialogische Kultur des offenen Austausches. Ich bin für offene Dialoge, das praktiziere und übe ich schon sehr lange. Was auch immer du sagst, es ist das, was du denkst, und das höre ich mit allem Respekt an. Es ist für dich richtig und es muss für mich nicht richtig sein. Ich kann dazu Stellung beziehen und ich möchte, dass du meine Position, die ich dazu habe, genauso anhörst.
Foto-Credit: Klaus-Dieter Platsch
Ein wunderbarer Mensch und schöne Gedanken
zum Thema MENSch-Sein, was es bedeutet und
wie ich die eigene Wahrheit finden kann:
– Frage Dein Herz und sei beweglich im Geist –
nehme ich als Essenz für mich mit aus diesem Artikel.
In Lak’ech
maria
Danke, Maria!
Sehr inspirierend. Danke! „…Darum geht es: anhören und zuhören. Und wenn wir uns wirklich anhören, können wir unsere Wurzeln dran lassen. Nicht direkt das Schwert ziehen und sagen: „So ist es richtig und so muss man es machen!“…“
Sehr wertvoll für mich, dieser Ansatz, danke. Und wenn wir echtes gegenseitiges Verstehen aufbringen, dann sind wir beieinander und können mit all unserem „Sein“ in Erscheinung treten. Somit können wir im Vertrauen, ohne Angst – sondern mit gegenseitigem Respekt und Verständnis – eine Lösung anstreben.
Danke, Carina!